Der französische Komponist Gounod hat nicht nur Opern, sondern auch Streichquartette geschrieben? War es etwa zu Mozarts Zeiten allgemein akzeptiert und den Tatsachen entsprechend, dass ein Komponist ein Tausendsassa ist, der mit seinen Kompositionen schlicht jede Gattung klassischer Musik bedient hat, so war es später im neunzehnten Jahrhundert die eher die Regel, dass Komponisten sich auf eine Gattung oder maximal zwei Gattungen zu spezialisieren hatten, wie etwa Giuseppe Verdi, der wegen seiner Opern berühmt ist oder Johannes Brahms, der im Wesentlichen für seine sinfonische Musik unds eine Klaviermusik bekannt ist. Gounod, ebenfalls ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts gehörte zu den wenigen Ausnahmen, die von Klavierwerken über Streichquartette, Oratorien, Kantaten und Messen und Opern verschiedene Musikgattungen mit seinen Kompositionen abdeckte, heute allerdings in erster Linie für seine Faust-Oper (vorrangig bekannt unter der Bezeichnung Margarete) geschätzt wird. Weniger bekannt ist der Rest seiner Werke und schon gar nicht bekannt ist, dass er mit Kirchenmusik das meiste Geld verdient hat, einer Musik, die wegen ihrer als süßlich empfundenen Schreibweise schon kurz nach seinem Tod in Vergessenheit geriet. Dasselbe Schicksal erlitten seine fünf Streichquartette aus einem ähnlichen Grund, von denen bis auf eines sich keines im Repertoire halten konnte.
Dem in Paris beheimateten Quatuor Cambini ist es zu verdanken, dass pünktlich zum zweihundersten Geburtstag Gounods sämtliche Streichquartette auf Tonträger und als Downloads erstmals komplett erschienen sind. Das es dazu kommen konnte, ist nicht nur dem Quartett zu verdanken, das neben dem klassischen Repertoire (sämtliche 68 Streichquartett Haydns stehen die kommenden Jahre aktuell auf dem Spielplan der Cambini) selten oder nicht mehr aufgeführte Werke wiederbelebt, sondern auch einem an der Wiederenddeckung der Gounod-Kammermusik interessierter Sponsor, der das Aufnahmeprojekt finanziell ermöglicht hat.
Das Quatuor Cambini, das sind Julien Chauvin und Karine Crocquenoy, Violine, Pierre-Eric Nimylowycz Bratsche und Atsushi Sakai Cello. Die vier Streicher sind auf historischen Streichinstrumenten spielende, die historische Aufführungspraxis praktizierende Spezialisten ihres Fachs und in Quartettformation gehören sie zur Handvoll Spezialisten, die sich mit Haut und Haar der historischen Aufführungspraxis verschrieben haben. In dieser Funktion sind sie auch sämtliche in größeren Kammermusikformationen aktiv.
Warum soll man sich als Zuhörer mit den Streichquartetten Gounods beschäftigen, wenn einem etwa die Quartettwelt eines Ludwig van Beethoven in zahlreichen meisterhaften Interpretationen zur Verfügung steht? Ganz einfach deshalb, weil sich die Musikwelt auch nach Erklimmen des Everest unter den Quartettkompositionen weitergedreht und Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Quartette Gounods als würdiges Erbe der Wiener Klassizismus-Tradition entstanden sind. Die lyrischen Akzente des Quartetts in g-Moll oder die luftige Leichtigkeit der Scherzo-Sätze der Quartette könnten von Mendelssohn oder Schubert stammen. Ein weiterer gewichtiger Grund sich mit diesen Quartetten zu beschäftigen ist das Quatuor Cambini, das mit seiner historisierenden Spielweise die unvermeidlich mitkomponierende Süßlichkeit des Opernkomponisten Gounod ins rechte Licht setzt und keinesfalls die Führung übernehmen lässt. Das Quatuor Cambini ist unter den in den letzten Jahren zahlreich neu gebildeten Quartetten wahrlich ein bemerkenswertes Ensemble, das enorme Spielfreude vermittelt und das sich mit einem eigenständigen lichten, scheinbar leichten Sound von der gleichaltrigen Konkurrenz abhebt.
Quatuor Cambini-Paris