Bright Lights Nils Wogram
Album info
Album-Release:
2020
HRA-Release:
16.10.2020
Album including Album cover
- 1 Lullaby Part I 02:08
- 2 Levity 04:33
- 3 A Humbled Man 04:42
- 4 Hello Again 05:13
- 5 Trip to Staten Island 04:42
- 6 Jammin 04:20
- 7 The Beauty of Odds 05:50
- 8 Lullaby Part II 02:50
Info for Bright Lights
Eine Posaune, sonst nichts! Nils Wogram schließt nicht nur an eine große Tradition an, sondern eröffnet ihr auch neue Perspektiven.
Was zum Beispiel auf Klavier oder Gitarre längst zur Normalität gehört, mutet auf der Posaune immer noch ungewohnt an, um nicht zu sagen gewagt. Dabei hat diese andernorts ungewöhnliche Konstellation im deutschen Jazz durchaus Tradition. Albert Mangelsdorff und Conny Bauer haben es vorgemacht und ihr Instrument auf mehreren stilprägenden Alben und unzähligen solitären Konzerten als Soloinstrument präsentiert. Mit seinem Solodebüt ‚Bright Lights‘ schließt Nils Wogram nicht nur an diese große Tradition an, sondern eröffnet ihr gleichzeitig völlig neue Perspektiven.
Sein musikalisches Können muss Nils Wogram schon lange nicht mehr unter Beweis stellen. Mit seinen Bands Root 70 und Nostalgia hat er sich weltweit einen Namen gemacht, in zahllosen anderen Projekten – unter anderem an der Seite von Simon Nabatov, Bojan Z. oder Michel Portal – etablierte er sich als charakterstarker Team-Player. Er bringt zu Gehör, was er selbst hören will. Im Vertigo Trombone Quartet oder im Duo mit Conny Bauer hat er bereits explizit den Sound der Posaune gefeaturet. Trotzdem oder gerade deshalb war es nur eine Frage der Zeit, wann auch Wogram sein Verhältnis zur Soloposaune postulieren würde. Anders als besagte Pioniere dieses Sujets muss er sein Instrument nicht mehr im Verein der Soloinstrumente positionieren, sondern kann einfach spielen.
Anders gesagt, Wogram braucht für die Musik von „Bright Lights“ keinen Beipackzettel mitzuliefern, warum er überhaupt ein Soloalbum aufnimmt. Er muss nichts beweisen, braucht nicht Song für Song die spielerischen Möglichkeiten der Posaune und deren improvisatorischen Ableitungen aufzufädeln, sondern kann munter und kurzweilig seine ureigenen Geschichten durchs Rohr blasen. Obwohl sich Wogram ohne technische Hilfsmittel und Erweiterungen nur auf eine einzige Klangquelle stützt, ist seine künstlerische Maxime genauso integrativ wie im Spiel mit einer großen Band. Jede Form von Dogmatismus ist ihm grundsätzlich fremd. Es geht auf „Bright Lights“ um die Einbeziehung möglichst vieler gestalterischer Mittel und nicht darum, gewisse Parameter auszuschießen, wegzulassen oder gar zu verhindern. „Vermeidungsstrategien finde ich in der Musik anstrengend und künstlich“, stellt Wogram klar. „Ich glaube, dass man die Posaune solo anders hört als auf einem Bandalbum. In einer Band gibt es viel mehr klangliche Abwechslung und eine Funktionsaufteilung, die im Kontext von ‚Bright Lights’ von einem einzigen Instrument bedient werden muss. Ich wollte auf keinen Fall in die Falle der Selbstgefälligkeit tappen. Der Hörer soll nicht ununterbrochen vor Augen haben, dass er nichts als Posaune hört. Es geht um interessante und abwechslungsreiche Musik.“
Schon früher hat Wogram gelegentlich an Soloprojekten gearbeitet. Doch seine bisherigen Programme basierten eher auf den improvisatorischen Gegebenheiten des Instruments. Für „Bright Lights“ fand er einen neuen Ansatz, bei dem er sich stärker auf die narrativen Qualitäten seines Horns fokussierte. Um diese möglichst breit zu fächern und abwechslungsreich zu gestalten, drang er ungleich tiefer als zuvor in die Trickkiste der Posaune ein. Dabei stand immer die Frage nach den jeweiligen Gestaltungsmitteln für jeden einzelnen Song im Mittelpunkt.
Dieser narrative Aspekt bietet sich auf der Posaune mehr an als auf jedem anderen Instrument, denn kein Klangerzeuger kommt der menschlichen Stimme so nah wie Wograms Spielgerät. Er weiß um diese Möglichkeiten und nutzt sie als Chance. „Der Charakter der Posaune ist extrem wandelbar. Ich mag es, wenn die Posaune ihren Grundcharakter beibehält. Natürlich erliege auch ich oft der Tendenz, die Posaune so rein wie möglich zu spielen, aber ihr Charme besteht ja nicht zuletzt in der gewissen Rauheit und sprachlichen Wandelbarkeit. Ich liebe es, wenn die Posaune leicht melancholisch und schmeichelnd daherkommt. Früher habe ich versucht, Coltrane’s ‚Giant Steps’ nachzuspielen. Das ist mir auch gelungen, aber die Posaune ist eben kein Tenorsaxofon, und man muss aufpassen, dass der Charakter des Instruments nicht in den Hintergrund gerät. Wenn der Ton mal nicht ganz gerade gelingt, gehört das eben auch zu den Besonderheiten der Posaune.“ Ganz bewusst spielt Wogram auch mit den Limitierungen des Instruments. Wie im Freiflug überwindet er die Gravitation der Posaune, aber statt sie zu negieren, verwandelt er ihre relative Schwerfälligkeit im Auftrieb der musikalischen Thermodynamik geschickt in einen fliegenden Teppich, von dem aus seine Geschichten leicht und elegant wie Mauersegler zum Hörer herüberfliegen. Sein Spiel wird dadurch luftig, bunt und dreidimensional.
Um zu erzählen, was er mit der unbegleiteten Posaune sagen will, braucht Nils Wogram auf ‚Bright Lights‘ weniger als 40 Minuten. Es geht ihm nicht um sein persönliches Standing als Spieler oder Virtuose. Wie auch in all seinen anderen Projekten tritt er mit seinem Ego ganz und gar hinter der Musik zurück, was ihn wiederum als musizierendes Individuum umso stärker macht. Genau diese Eigenschaft triggert die Stärke dieser Einspielung. Die spielerischen Fähigkeiten für ein Soloalbum hätte der Posaunist freilich schon seit mindestens anderthalb Jahrzehnten aufgebracht. Es war und ist jedoch laut Wogram ein kontinuierlicher Prozess selbstkritischer Lernarbeit, alles in seinem Solospiel wegzulassen, was der musikalischen Erzählung im Wege steht. „Man muss sich bewusst sein“, so Wogram, „dass die Außenwirkung oft von der Eigenwahrnehmung abweicht. Es verlangt viel Selbstvertrauen, um die Entscheidungen immer im Sinne der Musik zu treffen, umso mehr, wenn kein externer Produzent involviert ist. Manchmal bedeutet das auch, radikale Entscheidungen gegen die reine Musikersicht zu treffen. Und das muss man lernen.“
So anspruchsvoll dieses Soloalbum spielerisch ist, richtet sich Wogram mit dem Album jedoch nicht ausschließlich an Posaunen-Gourmets, sondern an Hörer jeglicher Couleur, die einfach nur Freude an musikalischer Fabulierlust aufbringen können. In diesem Sinne ist ‚Bright Lights‘ weder eine akrobatische Nummernrevue noch ein Showcase für die Posaune und schon gar kein retrospektives Kräftemessen mit seinen Vorbildern Mangelsdorff oder Bauer, vor denen sich zu verneigen Wogram durchaus als Herausforderung für das Album empfindet. Mit einem ganz einfachen Satz bringt er sein Credo auf den Punkt: „Mir geht es nicht um die Analyse meines Handwerks, sondern einzig um künstlerische Substanz.“
Eine Posaune, sonst nichts! Es gelingt Nils Wogram auf berührende Weise, Grundvertrauen in seine eigenen musikalischen Aussagen zu manifestieren, sich zu seiner künstlerischen Herkunft zu bekennen, ohne zum Plagiat zu mutieren, und damit neue Geschichten zu erzählen, die in vertrauten Kulissen trotzdem nicht deplatziert wirken. Letztlich schlägt er mit ‚Bright Lights‘ in Zeiten zunehmender Uniformität und Konformität eine starke Bresche für die schöpferische Kraft des sozial empfindenden Individualismus.
Nils Wogram, Posaune
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