The Jazz Butcher
Biography The Jazz Butcher
The Jazz Butcher
Es kommt nicht oft vor, dass es einem Künstler gegeben wäre, nach Bowie-Art bewusst sein persönliches Nachwort in die Rillen einer letzten LP zu ritzen. The Highest in the Land ist eines jener seltenen Alben, und man könnte sich als seinen Autor keinen brillanteren, furchtloser sarkastischen Poeten wünschen als Pat Fish alias The Jazz Butcher.
“My hair's all wrong / My time ain't long / Fishy go to Heaven, get along, get along”, singt er zum eine tickende Uhr suggerierenden Beat von “Time” und reimt dabei den Titel trocken mit “a one-way ticket to a pit of Council lime” (ein Hinweg- Ticket zur Kalkgrube der Gemeindeverwaltung). Es ist nur einer von vielen existenziell aufgeladenen Momenten einer Platte, deren Lieder Pat Fish während seiner letzten sieben Jahre schrieb, ehe er im Oktober 2021 63-jährig allzu früh von uns ging. „Selbsterkenntnis, Dringlichkeit“, waren die Worte, die er in privaten Randnotizen zu seinen Texten an Produzent Lee Russell schrieb: „Er hat seinen Weg um den Häuserblock hinter sich. Und jetzt ist er auf seiner letzten Runde.”
„Wir hatten unseren Abschied,“ erinnert sich Russell, „Drei Monate lang hatten wir zusammengearbeitet, und dann am letzten Tag fuhr ich ihn nach Hause. Zum ersten Mal umarmten wir uns, dann sagten wir Lebewohl. Und das war's.“
In den letzten Jahren hat der Katalog von The Jazz Butcher, angefangen mit dem erstaunlichen Lauf von 11 Alben in den ersten 13 Jahren der Band-Karriere, eine längst überfällige Wiederentdeckung erfahren. Nach Jahrzehnten der schändlichen Missachtung wurde das Frühwerk würdig gefeiert und in einer Serie von Box-Sets handlich zusammengefasst.
Die 1982 in Oxford von Pat Fish und dem begabten Gitarristen Max Eider gegründete Formation verkörperte – in späteren Jahren de facto synonym mit Fish selbst – eine antirockistische, halbironisch Jazz-affine Indie-Ästhetik, noch bevor das Wort „Indie“ überhaupt erfunden war. Umgeben von Poseuren, die sich allesamt viel zu ernst nahmen, bewies dieser selbsternannte “Southern Mark Smith”, dass man gleichzeitig klug und witzig, gebildet und unprätentiös sein konnte. Selbst wenn dieser sympathische Zug wohl auf Kosten seines Status als ernsthafter Künstler ging.
Doch wie so oft der Fall, schien diese Unterbewertung seinen Scharfsinn als Autor über die Jahre bloß noch zu beflügeln. An mangelndem Material lag es jedenfalls nicht, dass seit dem 2012 erschienenen, vorletzten Jazz Butcher-Album Last of the Gentleman Adventurers neun lange Jahre verstrichen.
„Es war sehr wichtig für ihn, dass eine Plattenfirma sich bei ihm meldet und ihn bittet, ein Album zu machen“, sagt Dhiren Basu, sein Wohngenosse in Northampton, mit dem Fish – neben dem Bassisten und musikalischen Vertrauten Tim Harries – seine Pläne und Ideen teilte. „Das war etwas, worauf er viel Wert legte. Die Leute, die er wirklich verehrte, waren Lou Reed, Syd Barrett, John Cale und Kevin Ayers, alles Typen, die sich durch nichts verbiegen ließen. Er hatte diese Ambition, ein englischer Dandy zu sein und kompromisslos zu sagen: Das ist, was ich tue, dazu bin ich hier.”
Eine Aufgabe also für das Label Tapete Records aus Hamburg, das in seiner unverhohlen Verehrung der Talente des Pat Fish nicht mehr oder weniger verlangte und somit den Weg zu diesem außergewöhnlichen letzten Statement eines der besten britischen Songwriter ebnete.
Es ist übrigens kein Zufall, dass ein Label vom europäischen Festland The Highest in the Land veröffentlichen sollte, oder dass Fish auf dem Coverfoto vor den Toren des Pariser Bahnhofs Gare du Nord zu sehen ist, wo der Eurostar-Kanaltunnelzug aus Großbritannien ankommt. Zwischen berührenden persönlichen Songs wie „Never Give Up“, „Goodbye Sweetheart“ oder dem etwas kryptischeren Titelstück (der mysteriöse „Black Raoul“ darin ist übrigens Pat und Dhiren's schwarzer Kater) ist ein Großteil des Albums beseelt vom gerechten Zorn auf den isolationistischen Pfad, den das Vereinigte Königreich in der jüngeren Vergangenheit beschritten hat.
Zwei seiner Songs gehören zu den bisher wohl schärfsten Analysen der Brexit-Ära in Songform: “The gammons are all whining for some kind of reclamation / But they don’t know what they want to reclaim,” schäumt Fish in“Sebastian's Medication” („gammons“ steht im britischen Polit-Slang für Wutbürger mit räucherschinkenrotem Kopf), “How the hell are you supposed to leave a continent?”
“Running on Fumes” wiederum präsentiert sich als eine Art zornige Erklärung zur Lage der Nation und zieht in seinen Erwähnungen von Hermann Hesse und Mackie Messer Parallelen zur Weimar-Ära, während eine eindeutige musikalische Anspielung an Dylans Blood on the Tracks nahelegt, dass es hier tatsächlich ans Blut geht. Im Gegensatz dazu erzählt “Sea Madness” die herzerwärmende Geschichte eines Einwanderers in Gestalt eines Tributs an Turkish George, einem legendären Faktotum der Musikszene von Northampton.
„Pat war Internationalist“, sagt Dhiren Basu, „Ich glaube, er fühlte sich Europa wesentlich stärker verbunden als seinem eigenen Land. Er war sehr politisch, so wie die meisten denkenden Menschen, die einen Sinn für Gerechtigkeit besitzen. Er war ein natürlicher Linksintellektueller.“ Es entbehrt nicht der Ironie, dass eine Karriere, die in gewitztem Widerstand zu den Thatcher- Jahren begann, unter dem Schatten Boris Johnsons zu Ende ging. The Highest in the Land ist für das Heute ebenso relevant wie einst A Scandal in Bohemia für das Jahr 1984.
Doch das Album schließt auch auf musikalische Weise einen Kreis zu den Anfangstagen. Die Basis der Produktion bilden live im Studio eingespielte Aufnahmen einer Kernband aus Fish, Dave Morgan am Schlagzeug und Tim Harries am Bass, erweitert durch Gastspiele mehrerer Musiker inklusive Gründungsmitglied Max Eider.
Sein Ableben mag schließlich sehr plötzlich gekommen sein, aber Pat Fish hatte sich in den Jahren davor einer intensiven Krebsbehandlung unterziehen müssen. Das Thema Sterblichkeit hing also wie eine schwere Wolke über dem Schreibprozess. Als vergangenen Juni in Lee Russells Dulcitone-Studio im ländlichen Northamptonshire die Aufnahmen begannen, stand der Produzent „unter dem Eindruck, dass das seine letzte Platte sein würde. Und erst als wir angefangen hatten, sie zu machen, fand ich heraus, dass Pat den Krebs bezwungen hatte. Aber er gab sich keinen Illusionen hin. Wir gehen alle durchs Leben, so als hätten wir ewig Zeit, aber das ist eine Lüge, und Pat war schlauer als der Rest von uns. Er sah den Tatsachen ins Auge. Er hatte keine Lust, sein Leben auf irgendeine Weise zu kompromittieren. Er starb zuhause, während er darauf wartete, dass der Kaffee kocht. Er hatte nicht aufgehört zu rauchen, zu trinken, Drogen zu nehmen oder Gigs zu spielen. Er musste einen Live- Stream-Auftritt absagen, das war alles. Bis zuletzt war er immer noch Pat Fish. Er war immer noch der Jazz Butcher.“